Der Helikopter hebt ab

Bis vor etwa zwei Monaten war mir gar nicht so klar, was man unter Helikopterskiing eigentlich verstehen sollte. Klar, wenn man im Winter durch Sportgeschäfte läuft sieht man hie und da Videos von waghalsigen Sprüngen aus Helikoptern irgendwo in irgendwelchen Bergen. Dass es aber eigene Skiresorts für genau diese Art des Ski- beziehungsweise Snowboardfahrens gibt wurde mir erst hier in Kanada klar. Vermutlich liegt es auch daran, dass es in Europa nicht im Ansatz so viele Backcountryskiing-Möglichkeiten gibt wie in Nordamerika, wo es eigentlich mehr Powder als Pisten gibt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Durch meinen Job bei Mike Wiegele Helikopterskiing habe ich nun also erstmals die Möglichkeit diese Art des Snowboardens selbst auszuprobieren.

Als Mitarbeiter darf man kostenlos mitfliegen wenn ein Platz frei ist und ein paar andere Kriterien wie Gewicht, Können und Arbeits-/Flugverhältnis passen. Außerdem muss man ein Gefahrentraining absolvieren, das jede zwei Wochen aufgefrischt werden muss. Dieses Training beinhaltet den Umgang mit den sogenannten „Piepsern“, die beim Auffinden von Lawinenopfern hilft, sowie der korrekte Umgang mit Team und Helikopter.

Die ersten Helikopter heben morgens um halb neun ab. Möchte man als Mitarbeiter mitfliegen muss man sich am Abend vorher in eine Liste eintragen und morgens um acht Uhr am allgemeinen Treffpunkt anwesend sein. Hat man Glück, gibt es einen freien Platz und wenig Konkurrenten. Meistens ist letzteres das aber nicht der Fall. So schrumpfen logischerweise auch die Chancen. Eine wirkliche Konkurrenzsituation habe ich bisher aber nicht erlebt 😉

Nachdem ich mein erstes Training letzte Woche Donnerstag absolviert hatte, versuchte ich es an all meinen freien Tagen. Freitag letzte Woche, Dienstag diese Woche und Mittwoch. Bis dato kein Glück.

Mittwoch war ein wunderschöner Tag. Kaum Wolken, blauer Himmel, nicht zu kalt, nicht zu warm. Perfektes Wetter für einen Helikopterflug. Am Abend zuvor hatte ich außerdem erfahren, dass am nächsten Tag mindestens zwei Plätze frei sein würden. Obwohl die letzten beiden Male nicht erfolgreich gewesen waren, stapfte ich motiviert und voll ausgerüstet in Richtung „Meeting-Point“. Den gleichen Gedanken hatten wohl auch fünf andere Mitarbeiter. Ich hatte wenig Hoffnung. Dazu kam, dass sich die Guides an diesem Morgen extra lange Zeit ließen und erst gegen halb neun auftauchten. Als der für Mitarbeiterflüge zuständige Guide zu uns kam, war ich ehrlich gesagt doch etwas aufgeregt, weil alles geradezu perfekt für meinen ersten Helikopterflug und mein erstes Mal Powderboarden gewesen wäre. Die Hoffnung verließ mich, als der Guide meinte, dass alle den Kriterien entsprechen würden und er nun die Liste von oben herab gehen würde. Ich war nicht unter den Ersten, die sich eingetragen hatten. Doch wie durch Zufall nannte er meinen Namen und fragte mich, ob ich so weit fit sei und bereit wäre Helikopter zu fliegen. Ich war baff. Natürlich bejahte ich alles und war mit einem Schlag auf 180! Helikopterboarden bei so einem Wetter! Genial 🙂

Ich wurde einer Gästegruppe zugewiesen und stellte mich vor. Bevor wir den Helikopter betreten durften, mussten wir erst einmal unser Piepser auf Funktionalität testen. Alles funktionierte einwandfrei. Dann kam der Helikopter. Geduckt knieten wir direkt am Landeplatz nieder und warteten bis der Helikopter gelandet war.

Helikopter im Anflug

Nur alleine das Gefühl unter den sich drehenden Rotorblättern zu sitzen und das typische Helikoptergeräusch zu hören, war pure Faszination. Als ich mich dann noch angeschnallt hatte und der Helikopter abhob, war meine Sprachlosigkeit perfekt. Schon jetzt ein Wahnsinnserlebnis!

Direkt nach dem Start. Perfektes Wetter!

Wir überflogen das Tal und die ersten Berge der Rockies. Jeder Blick nach draußen war faszinierend. Tiefbauer Himmel gepaart mit schneebedeckten Bergen ist einfach der Hingucker schlechthin. Viel früher als erwartet landeten wir. Man sah eigentlich überhaupt nichts, denn der Wind, den der Helikopter verursachte hüllte uns in eine Wolke aus glitzerndem Puderschnee. Man spürte nur einen sanften Ruck und der Helikopter stand metertief im Tiefschnee. Ich schnallte mich ab, zog meine Snowboardbrille an und kniete mich in den Schnee, solange, bis der Helikopter wieder abgehoben und davongeflogen war. Puh war das weit oben! Wir waren mitten im Wald, nahe der Bergspitze gelandet. Etwas mühsam machte ich mich daran mein Snowboard festzuschnallen, was gar nicht so einfach war. Setzte man sich, versank man im Schnee. Stellte man ein Bein in eine Bindung, versank man mit dem anderen Bein. Irgendwie gelang es mir dann aber doch. Schon war die Gruppe ein Stück weit gefahren und ich fuhr etwas unsicher hinterher.

Um das, was jetzt kommt besser verstehen zu können, muss ich kurz auf etwas anderes eingehen.

In der ersten Woche lernten wir unter anderem auch, wie man mit Gästen umzugehen hat, dass diese in jedem Fall bevorzugt werden müssen und man seine eigenen Bedürfnisse quasi hinten anstellen muss. Im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass man beim Heliskiing darauf achten muss, weder die Gruppe, noch einzelne Personen während der Fahrt einzuschränken. Dazu gehört auch zu langsames Fahren…

Wir standen nun also oben auf dem Berg und blickten auf den Wald und die Massen von Schnee vor uns. Irgendwie war mir mulmig zumute und außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Gruppe doch schon recht erfahren war. Nachdem der Leadguide alles erklärt und abgecheckt hatte, fuhr einer nach dem anderen los. Schnell fuhren sie! Ich fahre seit zehn Jahren Snowboard, wenn auch hauptsächlich auf präparierten Pisten, aber Erfahrung habe ich durchaus. Das, was ich in den nächsten zehn Minuten erleben sollte, stellte so ziemlich alles auf den Kopf, was ich jemals beim Snowboarden erlebt hatte. Zu Beginn war noch alles in Ordnung. Dann kam der erste Sturz. Stürze sind nicht das Problem im Powderschnee, man fällt weich. Es ist das Aufstehen danach. Als Snowboarder sowieso. Ich schaffte es partout nicht mehr aufzustehen. Der Rest der  Gruppe war schon außer Sichtweite und ich musste meine Bindung abschnallen und zurück in die Spuren der Anderen gelangen. Ich hatte immer die Worte der Human Resources Managerin im Kopf: „Die Gruppe darf niemals durch dich aufgehalten werden“. Nur allein dieser kurze Kraftakt ließ mich hecheln, wie ein Hund. Zum Glück fand ich den Weg zurück, doch besser wurde es nicht. Kurz sah ich die Gruppe, dann war sie wieder weg. Je dichter der Wald wurde, umso verwinkelter waren die Spuren der anderen. Von hinten rief mir der Guide zu, ich solle vorausschauend fahren, also nicht das nächste Hindernis sondern schon das danach im Blick behalten. Das muss man erst mal machen, wenn man noch nie so wirklich im Tiefschnee gefahren ist. Im Prinzip fiel ich alle 30 Meter. Meine Lungen brannten, meine Beine zitterten und mein Kopf machte mir gleichzeitig Druck der Gruppe schnellstmöglich zu folgen. Die war schon über alle Berge. Als wäre das nicht genug, hielt der Guide neben mir an und sagte, ich könne jetzt langsam machen, den Flug hätten wir jetzt verpasst. Die Gruppe wurde dieselbe Strecke wieder hochgeflogen, sodass sie nicht wirklich einen Nachteil von meiner ersten Abfahrt hatte. Unten angekommen sank ich halbtot in den Schnee. Ich schmeckte Blut und fühlte mich hundeelend. Schwindel kam noch dazu. Als die Gruppe ankam und uns der Helikopter abholte, war ich kurz davor mein Gleichgewicht zu verlieren. Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass es sowohl am vergleichsweise geringem Frühstück, als auch am körperlichen und physischen Druck lag. Die erste Fahrt war gründlich in die Hose gegangen.

Zum Glück ging es mir schnell wieder besser. Jetzt kam aber das schlechten Gewissen in mir auf. Fühlte sich einer der Gäste in irgendeiner Form eingeschränkt? Es schien Gott sei Dank nicht so zu sein. Ich war heilfroh, als wir in freiem Gelände mitten in den Bergen landeten.

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Die kommenden drei Abfahrten waren um Längen besser, als die erste Abfahrt. Ich bekam auch positive Rückmeldungen von einzelnen Gästen, was mich wiederum anspornte. So klappte es schlussendlich bis auf ein paar Kleinigkeiten wirklich gut und ich konnte die Abfahrten erstmals wirklich genießen. Die Natur da oben ist beeindruckend. Man muss wirklich aufpassen nicht zu stürzen, weil man die ganze Zeit eigentlich nur staunt.

Sonnenstrahlen im aufgewirbelten Powder

Es muss wohl an meiner ersten Fahrt gelegen haben, denn nach nur zweieinhalb Stunden musste ich mit dem Tankflug wieder zurück zur Helibasis. Ich konnte aber auch nicht mehr. Innerhalb dieser Stunden hatte ich meine komplette Energie in den Bergen gelassen. Meine Beine zitterten und das Halten des Snowboards wurde zum Kraftakt.

Auch wenn der ganze Bericht eher negativ klingt, so war es eine wahnsinnig faszinierende und tolle Erfahrung, die ich unbedingt noch einmal erleben möchte, dann allerdings mit einem powdergeeigenten Snowboard und mit mehr Erfahrung. Ich hatte zwar den ganzen Tag über Zweifel, ob ich überhaupt nochmal mitfliegen werden darf, aber durch ein paar Rückmeldungen von anderen, blicke ich dem nächsten Heliskiing- bzw. Catskiingtag positiv entgegen.

Es war ein toller Tag und nur allein für diese Erfahrung hat es sich gelohnt hierher zu kommen.