Blick auf den Olomana Trail und Ost-Oahu im Hintergrund.

Zugegeben, der Titel klingt reißerisch, beschreibt aber am Besten das, was ich vergangenen Samstag hier auf Oahu, Hawaii erlebt habe.

Ich werde in einem späteren Artikel über die erste Woche auf Oahu berichten.

Für Samstag hatten wir geplant Wandern zu gehen. Oahu bietet sich da besonders an, da es einige wunderschöne Wanderwege gibt. Wir sind ja im Urlaub, also wurde der Trail des Tages morgens um sieben ausgesucht. Über Google fanden wir viele positive Rückmeldungen zum Olomana Trail. Der Weg liegt im Osten der Insel und führt über drei quasi freistehende Vulkanberge, Urwald und endet auf einem Golfplatz. Von oben sollte man einen wunderschönen Ausblick sowohl auf das Meer als auch auf das Bergmassiv im Landesinneren haben. Die Bilder waren atemberaubend. Also, nichts wie hin. Nun ja, so schnell ging es auch wieder nicht. Man will sich ja nicht hetzen als vierköpfige Entspannungsrunde. Kurze Zeit später stand fest: eher später loslaufen, da zu heiß um die Mittagszeit. Erst Strand, Shrimps essen gehen und die aufgenommenen Kalorien bei der anschließenden Wanderung wieder verbrennen. Wir sollten noch mehr verbrennen als uns lieb war. Zu diesem Zeitpunkt schien uns das aber ein guter Plan zu sein.

Mit einem Mietauto auf Hawaii unterwegs zu sein ist das Beste, was man machen kann. Nein, man muss es machen. Man fährt an der Küste entlang und entdeckt immer wieder tolle Ecken, sucht sich einen Parkplatz und entspannt dann so lange dort, wie man es eben für richtig hält. Das können manchmal der ganze Tag oder auch nur ein paar Stunden sein. Genau so eine Ecke entdeckten wir auf der Fahrt in Richtung des Trails. Schöner weißer Strand, türkisblaues Meer und Vulkanberge im Hintergrund. Idylle pur. Handtuch ausgebreitet, Bodyboards ans Handgelenk gebunden, ab ins Wasser. Die Zeit vergeht schneller als erwartet. Mit Shrimps im Anschluss war es bereits vier Uhr mittags, als wir endlich mit der eigentlichen Wanderung begannen. Viel zu spät, wie sich später herausstellen sollte.

Idylle pur.

Der Beginn des Trails war schon mal vielversprechend. Lichter Urwald und ein Vogelgesang-Konzert wie man es in Deutschland nur aus botanischen Gärten kennt. Botanische Gärten sind eigentlich ein guter Vergleich. Schwüle Luft, die Luftfeuchtigkeit liegt (sicherlich) nahe 90% und die Vögel. Urwald eben. Faszinierend. Zum Glück war die Sonne etwas verdeckt, denn anders hätte ich die stetig steiler werdende Steigung vermutlich nicht ausgehalten. Ich war nass geschwitzt als ich den ersten Berg erreichte. Mein Wasservorrat halbleer. Auf halber Stecke hatten wir uns von Justine und Emily getrennt, um etwas zügiger den Berg zu besteigen. Simon war schon oben, als ich den letzten Felsen hinaufkletterte. Was für ein Ausblick!

Beeindruckender Blick von einem der Gipfel des Olomana Trails.

Ich war hin und weg. Genau wie Simon. Die Uhrzeit, die aufziehenden Wolken, alles war vergessen. Die beiden anderen Berge mussten wir auch besteigen. Daran war nichts zu ändern. Ich hatte zwar etwas Zweifel, weil die Kletterseile, die den Aufstieg zumindest etwas absichern sollten nur halbherzig angebracht waren, aber was nicht ist, kann ja noch werden. So meine Hoffnung. War nicht so. Im Gegenteil.

Der zweite Berg war keine große Hürde. Kurzer Abstieg, kleiner Kletterteil, nur der Grat auf dem man laufen musste wurde dünner und die Abgründe tiefer und zum Teil überhängend. Unten dichter Urwald.

Tief ging es rechts und links des Weges. Klettern mit nicht sehr vertrauenswürdigen Seilen.

Der dritte Berg war das eigentliche Problem. Zumindest vorerst, denn es ging steil den Berg hinauf, hauptsächlich Felsen, die man ohne Sicherung erklimmen musste. Hier kurz ein Bild, damit man sich das etwas vorstellen kann.

Steil ging es den dritten Berg hinauf.

 

Nicht ganz ungefährlich, zumal die „Sicherungsseile“ teils schon zerfranst und geflickt worden waren. Die Shrimps taten aber ihr Bestes und ließen mich den Berg ohne große Mühen erklimmen. Im Prinzip war der Ausblick immer derselbe und wir hätten uns die Mühen ersparen können, die letzten zwei Berge zu erklimmen. Vermutlich ist es aber auch so eine Mann-Sache, dass man nicht nach dem ersten Berg sagt, gut, reicht mir und wieder zurück. Jedenfalls dachte ich mir auf dem letzten Gipfel, dass wir eher den Mädels hätten folgen sollen. Es war kurz nach sechs, die Sonne geht auf Hawaii um sieben unter und an Umkehren war nicht mehr zu denken. Zu gefährlich wäre es gewesen bei Dunkelheit und dem Zustand der Seile wieder zurück zu gehen/klettern. Was nun?

Unter uns lag der Urwald, dicht laut und feucht. Wir hatten natürlich nicht mehr daran gedacht, die Karte des Trails mitzunehmen oder auszudrucken. Ärgern half nichts, nur eines konnten wir tun: vor Sonnenuntergang vom dritten Berg herunter steigen. Das gestaltete sich als die bis dato adrenalinreichste Phase der Wanderung. Zwei, knapp fünf bis acht Meter hohe, überhängende Steinwände mit vier, jeweils maroden Seilen herunter klettern. Keine Sicherung. Schuhwerk war ok aber auch nicht überzeugend. Nike-Laufschuhe. Ich nahm all meinen Mut zusammen und hing mich ins Seil. Es hielt meinem Gewicht stand, doch der Blick nach unten war angsteinflößend. Steine und Ein Wirrwarr aus Ästen und Sträuchern. Einen kurzen Moment Unaufmerksamkeit und ich wäre weg gewesen. Schnell verdrängte ich solche Horror-Vorstellungen und kam nach gefühlten zehn Minuten am Fuß des Felsens an. Dickicht um mich herum. Simon war nach kurzer Zeit auch unten angekommen. Wir klatschten ein, denn jetzt ging es nur noch durch den (Ur-)Wald. Nur noch.

Urwald heißt nicht umsonst URwald. Dickicht, Lianen, Sträucher, Farne, alles versuchen einem buchstäblich die Sicht zu nehmen. Noch am Felsen entdeckten wir ein rosafarbenes Bändchen, offensichtlich die Markierung für den weiteren Wanderweg. Der Sonnenuntergang stand kurz bevor. Auch wenn ich beim Anblick der Strecke, die noch vor uns lag kein gutes Gefühl hatte, wir mussten weiter. Wir folgten dem Weg bzw. dem, was man davon noch sah. Vermutlich drehen die meisten Leute auf dem dritten Berg um und laufen zurück, denn der Pfad sah aus, als wäre er schon seit längerer Zeit nicht mehr benutzt worden. Große Teile waren bereits zugewachsen. Da war das nächste Band. Immerhin waren wir auf dem richtigen Weg. Kreuzung. Mist. Wohin jetzt? Auf gut Glück gingen wir in die Richtung, in der wir den Golf Club vermuteten. Glück gehabt. Nach zwanzig Metern kam das nächste Band. Ich hatte bevor wir den Wald betreten hatten auf mein Handy geschaut und mit dem Kompass die Himmelsrichtung bestimmt, der wir folgen müssen. Westen. Nächste Kreuzung. Shit, es war schon halb dunkel. Das erste Bändchen entpuppte sich als Blatt. Gibt es eigentlich irgendwelche gefährlichen Tiere hier im Wald? Ich hatte zwar am Vortag gegooglet und nichts gefunden, ganz wollte ich mich darauf aber nicht verlassen. Keine Bändchen in Sicht. Der Wald wurde dichter. Langsam stieg leichte Panik und Angst in mir auf. Auch Simon, der davor noch recht optimistisch war, meinte das er kein gutes Gefühl hätte. Immer noch kein Bändchen. Fast kein Durchkommen. Wir folgten einem nahegelegenen Flussbett. Aber Achtung, rutschig war das. In dem Moment als mir das durch den Kopf ging, knackte es vor mir und Simon begann zu rutschen. Nach drei oder vier Metern wurde er von einem Ast gestoppt. Nichts passiert. Schreck lass nach! Wir mussten weg von den glitschigen Steinen. Doch neben dem Flussbett konnte man nicht laufen. Eine Machete wäre praktisch gewesen. Der Mond warf sein erstes Licht durch die Zweige. Oh Mann! Wir begannen uns durch das Dickicht zu schlagen. Dieser ohrenbetäubende Lärm der Vögel bringt einen in solch einer Situation fast um den Verstand!

Manch einer kennt ihn bestimmt, den Überlebensmodus, den unser Gehirn in bestimmten Situationen aktiviert. Ich hatte ihn zuvor nur bedingt und nicht so bewusst erlebt wie jetzt. Alles war mit einem Mal egal. Man denkt nur noch daran: Raus aus dem Urwald. Steine, Bäume, Hindernisse, Stürze, alles war unwichtig und stoppte mich nicht. Ich hatte richtig Glück. Wieder im Flussbett, weil außerhalb kein Durchdringen möglich, rutschte ich weg. Fast wäre ich kopfüber hingefallen. Der Survival-Mode unterdrückte den Schmerz der Schürfwunden, die ich mir zugezogen hatte. Staubtrockener Mund. Plötzlich lichtete sich der Wald. Man sah Teile der Berge, die wir nur Stunden zuvor erklommen hatten. Zumindest waren wir in die richtige Richtung gegangen. Eine Lichtung hat den Nachteil, dass sie gefühlte hundert Richtungen bietet, in die man laufen kann. An den Trail dachten wir schon gar nicht mehr. Immer in Richtung Westen, möglichst entlang des Flussbettes. Als wir uns auf den weiteren Weg machten, wurde mir mit einem Mal bewusst: Julian, ihr habt euch verlaufen! LOST auf Hawaii. Ich bin zwar ein Fan der Serie aber dass es mir selbst einmal so ergehen würde hatte ich nicht erwartet. Lieber nicht daran denken und weiter. Mir war die ganze Zeit klar, dass wir hier irgendwie rauskommen würden. Auch wenn ich die Nacht über irgendwo zwischen Farn und Matsch hätte schlafen müssen. Ich war sowieso schon von oben bis unten eingesuhlt mit Dreck. Kurz nach acht Uhr war es mittlerweile. Um vier waren wir losgelaufen. Was wohl Justine und Emily gerade dachten? Ich hätte vermutlich schon längst die Polizei gerufen. Meine kanadische Prepaid-Karte funktionierte hier leider nicht. Zum Glück aber Notrufe.

Ich hatte das Gefühl, dass sich der Wald langsam lichtete. Oder war es nur eine Einbildung? Moment, war das überhaupt noch das Flussbett dem wir folgten? Es war zwar nass und matschig, aber die Steine waren weg! Oh nein. Umkehren wollten wir aber auch nicht. Kompass rausgeholt, Mist, wir laufen in Richtung Norden. Es ging kurz bergauf. Moment, Wasser fließt doch nicht bergauf?!? Der Trail! Wir hatten ihn wieder gefunden. In diesem Moment hätte ich vor Freude springen können. Doch aus dem Wald waren wir noch nicht. Nun konnten wir aber schneller laufen. Wie rannten fast. Jetzt bloß nicht noch auf die letzten Meter hinfallen. Da war der Golf Club. Wir hatten es geschafft. Puh. Mir fielen gefühlte Tonnen von den Schultern. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kraft verließ mich schlagartig, meine Beine wurden zu Blei. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir auch den Weg aus dem Golf Club gefunden und liefen langsam in Richtung Parkplatz. Dort angekommen, waren unsere Mädels nicht mehr da. Wie sich herausstellte waren sie noch in die Stadt gefahren um etwas einzukaufen. Ich war so durch den Wind, dass ich beim Einsteigen ins Auto vergaß meine Brille vom Kofferraumdeckel zu nehmen. Sie liegt nun vermutlich irgendwo auf dem Freeway. Pech gehabt.

Im Nachhinein war der Trip genial, zwar sehr riskant auch wegen der Felsen aber allemal lohnenswert. Wären wir nur früher losgelaufen, wir hätten den Urwald genießen können.

Dafür habe ich jetzt eine Geschichte mehr zu erzählen.

Mahalo für’s Lesen 🙂